Ablauf

Ablauf einer Pflegebegutachtung:

Durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) oder Medicproof

Grundsätze:

Gutachterinnen und Gutachter sind entweder Ärzte oder erfahrene Pflegefachkräfte, welche in den Begutachtungsanleitungen intensiv und fortlaufend geschult sind.

Dienstleistungsgedanke:

Gutachterinnen und Gutachter handeln als Dienstleistende. Gutachtende sollten über Kommunikationsstärken verfügen, empathisch sein und ein ausgewogenes Verhältnis zu Nähe und Distanz haben. Die persönliche Vorgeschichte, Religiosität, politische Ansichten, sexuelle Ausrichtung, Alter und Geschlecht der an der Begutachtung Beteiligten spielen für Gutachtende keine Rolle (Ambiguitätstoleranz). Gutachtende ermitteln im Auftrag der Pflegeversicherungen die für den Antrag der versicherten Person (Versicherungsfall) erforderlichen Sachverhalte und erläutern diese schriftlich in einer möglichst allgemein verständlicher Sprache.

Datenschutzanforderungen:

Gutachterinnen und Gutachter sind an strenge Datenschutzvorgaben gebunden. Sie erheben und dokumentieren nur für die Bearbeitung des Antrags erforderliche Daten und Befunde, sie kommunizieren die Daten nur mit den beteiligten Personen. Dokumente und Dateien werden besonders streng durch technische Mittel vor dem Zugriff Dritter geschützt.  

Grenzen der Begutachtung

Innerhalb der Begutachtung kann keine Pflegeberatung erfolgen. Gutachtende können keine Rechtsberatung anbieten und sie können keine ärztlichen Behandlungs- oder Medikationspläne ändern oder eine auf Dauer angelegte Beziehungsarbeit leisten. Angaben zur Geschäftsfähigkeit, Arbeitsfähigkeit oder Fahrtauglichkeit sind keine gutachterlichen Fragestellungen im Kontext der Pflegebegutachtung. Gutachterinnen und Gutachter sind unabhängig und marktneutral. Sie empfehlen keine namentlich benannten Pflege- und Betreuungseinrichtungen, Hilfsmittelanbieter, Handwerker, Ärzte oder Therapeuten.    

Terminankündigung, Terminvereinbarung

Der medizinische Dienst kündigt den Termin für die Begutachtung meistens schriftlich an, die GutachterInnen von Medicproof vereinbaren in der Regel die Termine telefonisch.

Wenn der Termin von der versicherten Person nicht angenommen oder abgesagt wird, gilt die Verzögerung des Verfahrens als von der antragstellenden Person verursacht.

  • Es sollte für telefonische Erreichbarkeit (auch Abhören des Anrufbeantworters) gesorgt und der Briefkasten regelmäßig kontrolliert werden.
  • Die pflegebedürftige Person muss bei der Begutachtung in deren Wohnumfeld anwesend sein. Unterstützungspersonen (Angehörige, Pflegepersonen usw.) können beim Hausbesuch anwesend sein.

Termindurchführung

Die Beteiligten begrüßen sich und sorgen für eine gute Arbeitsatmosphäre. Da der Gutachter oder die Gutachterin mit einem mobilem Computer arbeiten, sollte das Gespräch an einem Tisch stattfinden. Störende Nebengeräusche (Musik, Fernsehen, Radio) sollten während des Termin ausgeschaltet werden.

Vorbereitung

Der Gutachter oder die Gutachterin hat sich aus der Aktenlage auf den Termin vorbereitet. Diese haben nicht unebdingten Zugang zu bei der Krankenversicherung vorliegenden Daten. Für den Hausbesuch sollten etwa 35-90 Minuten Zeit eingeplant werden. Bei komplexen Situationen (z.B. Widerspruch) kann der Hausbesuch auch länger dauern.

Folgende Dokumente sollten beim Hausbesuch vorliegen:

  • Dokumentation der Pflegeeinrichtung (wenn eine Pflegeeinrichtung eingesetzt ist).
  • Ein ausgefülltes Pflegeprotokoll und ein aktueller Medikamentenplan.
  • Ärztliche Befunde können vorgelegt werden, wenn diese bereits vorhanden sind und sich hieraus eine dauerhafte Pflegebedürftigkeit ableiten lässt.
  • Ein Schwerbehindertenausweis muss nicht vorgelegt werden, weil dieser keine sicheren Angaben zur Pflegebedürftigkeit enthält.
  • Ein amtlicher Lichtbildausweis sollte bei der Begutachtung bereitliegen.

Begutachtungsschritte Dokumentation:

  • Angaben zum Termin: Begutachtungsadresse, teilnehmende Personen, Begutachtungszeit, ggf. Verzögerungsgründe werden dokumentiert.
  • Nennung der pflegerelevanten Fremdbefunde, ggf. Ergebnisse aus Fremdbefunden, Vorbegutachtungen, Anamnese (pflegebegründende Vorgeschichte, was hat zum Antrag geführt?).
  • Erhebung der Versorgungssituation der antragstellenden Person wie:
    • Lebensumstände (z.B. allein lebend, in häuslicher Gemeinschaft lebend…),
    • Anzahl der notwendigen nächtlichen Unterstützungsmaßnahmen durch Pflegepersonen.
    • Laufende Heilmitteltherapien (Physio-, Ergotherapie, Logopädie, medizinische Fußpflege).
    • Von Pflegepersonen durchgeführte, durch Therapeuten fachlich angeleitete Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung.
    • Technisch invasive Maßnahmen (z.B. Heimbeatmung unter Aufsicht einer examinierten Pflegefachkraft).
    • Dauerhafte und regelmäßige Arztbesuche.
    • Medizinische Behandlungspflege durch Pflegepersonen im häuslichem Bereich wie: Medikamentengaben, Augentropfen, Einreibungen mit medizinischen Salben, Injektionen, Kompressionsstrümpfe, Blutzuckermessungen, Verbandswechsel usw.).
    • Aufnahme der pflegerelevanten Wohnsituation: Barrieren, Badausstattung, Anzahl der Räume und der Wohnebenen, vorhandene Geländer, Haltegriffe, Treppenlifter, Aufzug usw.)

Befunde:

Befunderhebung:

  • Die gutachtende Person erhebt durch Inaugenscheinnahme oder Erfragen pflegerelevante Befunde in den Bereichen: Allgemeinbefund, Größe und Gewicht der pflegebedürftigen Person, Hauterkrankungen, Einschränkungen im Stütz- und Bewegungsapparat, Innere Organe, Nahrungsaufnahme, Ausscheidungen, Seh- und Hörfähigkeit, neurologische Einschränkungen, kognitive und kommunikative Fähigkeiten und psychiatrische Befunde/Verhaltensweisen. Die pflegebegründenden Diagnosen werden dokumentiert.
    • Ermittlung des Hilfebedarfs:

Berücksichtigt werden nur regelmäßige und dauerhafte, für mindestens 6 Monate erforderliche, Hilfebedarfe:

      • Modul 1 (Mobilität): Es können bis zu 10 gewichtete Punkte erreicht werden. Relevant ist nur der personelle Hilfebedarf für die Mobilität im häuslichen Bereich. Es ist hier nicht von Bedeutung, ob die Mobilität zielgerichtet erfolgen kann.
      • Module 2 oder 3: Es können in beiden Modulen jeweils maximal 15 gewichtete Punkte ermittelt werden. In die Gesamtwertung geht das am höchsten oder gleich bewertete Modul einmalig ein.  
        • Modul 2 (kognitive und kommunikative Fähigkeiten) oder
        • Modul 3 (Verhaltensweisen und psychische Problemlagen).
      • Modul 4 (Selbstversorgung): Es können bis zu 40 gewichtete Punkte erlangt werden. Bewertet werden personelle Hilfebedarfe in den Bereichen Körperpflege, Kleidungswechsel, Ausscheidung und direkte Unterstützung bei der Aufnahme der Nahrung.
      • Modul 5: (Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit Krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen („Behandlungspflege“). Es können in diesem Modul maximal 20 gewichtete Punkte erreicht werden. Es werden auch Hilfeleistungen erfasst, welche von einem Pflegedienst erbracht und über die Krankenversicherung abgerechnet werden.
      • Modul 6 (Alltagsgestaltung): In diesem Modul können bis zu 15 gewichtete Punkte erreicht werden. Es wird der Hilfebedarf zur Bewältigung des Alltags in Form von Tagesgestaltung, Ruhen und Schlafen, Beschäftigung, Zukunftsplanung, direkte Interaktionsfähigkeit und Kontaktpflege nach Außen (auch per Telefon oder E-Mail) beurteilt. Es werden auch Hilfebedarfe erfasst, welche eventuell in den anderen Modulen schon benannt worden sind.
  • Das Ergebnis wird nach dem Hausbesuch unter Auswertung aller Dokumente und Untersuchungsergebnisse von der Gutachterin oder dem Gutachter festgestellt und abschließend verschriftlicht. Während des Hausbesuchs kann daher noch kein gültiges Ergebnis verkündet werden.
  • Entsprechend der Anzahl der gewichteten Punkte wird der Pflegegrad ab dem feststellbaren Zeitpunkt empfohlen. Die Pflegeversicherung kann ab Antragseingangsdatum Leistungen gewähren.
  • Im Hausbesuch werden die Daten der an der Pflege beteiligten Personen und die persönlichen Daten der privaten Pflegepersonen erhoben sowie deren zeitlicher Aufwand je Woche erfasst.
    • Diese Angaben dienen zu Feststellung, ob die Pflege gesichert ist und die Daten der Pflegepersonen werden für deren sozialen Absicherung durch die Pflegeversicherung (z.B. Rentenbeiträge) benötigt.
  • Weitere versorgungsrelevante Informationen: Hier wird festgestellt, ob Hilfebedarfe bei außerhäuslichen Aktivitäten und hauswirtschaftlicher Versorgung bestehen. Diese Angaben haben keinen Einfluss auf den Pflegegrad.
    • Bewertung der Pflegesituation: Es wird festgestellt, ob die Pflege gesichert, defizitär oder nicht sichergestellt ist. Bei defizitärer oder nicht gesicherter Pflege kann die Pflegeversicherung unter Umständen keine Geldleistungen auszahlen.
    • Empfehlungen zu Förderung von Selbstständigkeit, Prävention und Rehabilitation.
      • Hier werden gutachterliche Empfehlungen für Pflegeberatung, Pflege-/Hilfsmittel, Wohnraumanpassung, Heilmittel (z.B. Physiotherapie), Rehabilitationsbedarf und eventuelle präventive Maßnahmen dokumentiert.
  • Stellungnahme zum weiteren Verlauf:
  • Wenn gutachterlich eine Reduzierung für möglich erscheint, kann hier ein Zeitpunkt für eine Wiederholungsbegutachtung empfohlen werden. Die Pflegeversicherung wird dann den Leistungsbescheid unter Umständen bis zu diesem Zeitpunkt befristen.
  • Anmerkungen: Wenn es erforderlich ist, könnten gutachterlich in diesem Punkt weitere Anmerkungen dokumentiert werden, welche sich im Gutachtenformular nicht abbilden lassen konnten, aber wichtig für die Einschätzungen erscheinen.
  • Nach Fertigstellung sendet der medizinische Dienst das Gutachten an die Pflegeversicherung. Diese erstellt und versendet einen Bescheid. In der Regel wird das Gutachten dem Bescheid beigefügt. Die Angabe einer Rechtsmittelbelehrung ist im Bescheid der Pflegeversicherung üblich.   

Umgang mit vorgelegten Gutachten:

  • Das von der Pflegeversicherung dem Bescheid beigefügten Gutachten dient der Information. Es wird nicht zur Korrektur vorgelegt! 
      • Ein Widerspruch gegen ein Gutachten ist technisch nicht sinnvoll. Wenn das Gutachten das Antragsverfahren durch gutachterliche  Falschausagen belastet,  kann nur der Pflegeversicherung eine angenommende Pflichtverletzung nur dann vorgetragen werden, wenn das dem Bescheid zugrundene liegende Gutachten belegbar falsch ist.
          • Bei begründeten Widersprüchen wird die Pflegeversicherung in der Regel eine zweite Begutachtung veranlassen.
          • Wenn gegen das Zweitgutachten vorgegangen werden möchte, ist dies erst nach belastendem Widerspruchsbescheid der Pflegeversicherung vor der Sozialgerichtbarkeit möglich. Es kann nur gegen die Versicherung und nicht gegen die gutachterliche Stelle geklagt werden.
          • Ein Klageanspruch aufgrund Fristvesäumnis der Pflegeversicherung ist möglich, aber in der Praxis unwahrscheinlich durchsetzbar.